Streaming trickst den Lautstärke Wahn aus.
Pop-Liebhaber hoffen im HD-Zeitalter anzukommen.
HD-Audio bietet phänomenale Klangqualität. Leider kommen vor allem die Klassik-Liebhaber in diesen Genuss. Wer sich eher in der Pop, Blues oder R&B Welt zu Hause fühlt, bekam in den letzten 10 bis 15 Jahren zunehmend miserableren Sound vorgesetzt. Es geht hier um die Aufnahmequalität, nicht den künstlerischen Gehalt. Pop-, Jazz- und Klassik-Aufnahmen lagen qualitativ noch nie so weit auseinander wie im 21. Jahrhundert. Die Gründe liegen in den grundsätzlich unterschiedlichen Produktionsmethoden und Zielgruppen der Pop, Jazz und Klassik-Genres.
Gilt bei der Klassik die feingeistige Reproduktion alter Meisterwerke in immer neuen Interpretationen und gesteigerter Klangästhetik, gilt es im Pop-Bereich möglichst marktschreierisch und laut die Ware an den Mann/Frau zu bringen. Dabei gilt: Laut verkauft sich besser. Womit wir wieder einmal mehr beim Loudness War angelangt sind. Dass nun gerade die Streaming Dienste diesem klangverstümmelnden Habitus den Boden unter den Füssen wegzieht, ist für viele überraschend, aber umso erfreulicher. Aber ganz ohne „aber“ geht es auch hier nicht.
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Worum geht’s, was ist passiert und wie ist die Entwicklung?
Kurz zur Erinnerung oder für neue Leser: bei der Dynamikkompression (Loudness War) werden beim Mastering die leisen Stellen in einem Musikstück lauter gemacht und die lauten Stellen leiser. Gleichzeitig wird die durchschnittliche Lautheit (Pegel) bis an die Systemgrenze des Speichermediums angehoben. Ein so in der Dynamik beschnittenes Musikstück klingt lauter, druckvoller aber auch unnatürlicher, meist aggressiver und mit weniger Feindetails. Einen so verunstalteten Sound in einen HD Container zu packen ist sinnlos – HD-Audio ist sowas auf keinen Fall.
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Bild1: In den beiden Bildhälften ist der gleiche Ausschnitt des Belafonte Songs Sisiwami (Album: Paradise in Gazankulu) dargestellt. Links das Original aus dem Jahr 1988 und rechts der gleiche Ausschnitt nach der Dynamikkompression und Pegelanhebung. Das von Mastering Ingenieur Ian Shepherd – der die Abkehr vom Loudness War befürwortet – entwickelte Dynameter, stellt den Dynamikverlauf innerhalb eines Musikstücks grafisch dar. Ein Musikstück mit gutem Dynamikumfang ist an einem mehrheitlich Blau-Grünen-Verlauf erkennbar. Wird’s über einen weiten Bereich orange und rot, dann sind nur geringe Laut-Leise-Unterschiede vorhanden.
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Es gibt mehrere Messmethoden den Dynamikumfang eines Musikstückes als Zahlenwert auszudrücken. Eine geläufige Angabe ist der DR-Wert (Dynamic Range) (Details dazu im Blogartikel: „Verstümmelte Musik..“)
Blogbeitrag: Verstümmelte Musik wie Dynamikkompression und Datenreduktion die Musik verändern
oder die EBU Richtlinie R128 mit den LUFS Werten (Loudness Unit Full Scale / Lautheits-Einheiten relativ zu digitalem Vollpegel / 1LUFS ≈ 1dBFS) (Details dazu im Blogartikel: ..mit Lautstärkenormalisation den Unsinn beenden“)
Blogbeitrag: Naht das Ende vom Loudness War? mit Lautstärke Normalisation den Unsinn beenden
Auf diesen LUFS Werten baut auch das Dynameter auf und führt mit dem „Peak to Loudness Ratio“ (PLR) eine sinnvolle Messgrösse ein, welche den Unterschied zwischen der integrierten Lautheit (Loudness) und dem Spitzenwert beschreibt. PLR Werte sind 2 bis 3 Ziffern höher als die entsprechenden Werte der DR-Skala.
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Bild 2: Die integrierte Lautheit (RMS/Root Mean Square = effektiver Mittelwert) bestimmt wie laut wir ein Musikstück wahrnehmen, relativ zu einem anderen Stück. Die absolute Lautheit wird schlussendlich von der vom Hörer gewählten Lautstärkeeinstellung am Verstärker bestimmt.
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Was haben nun Spotify, Tidal & Co mit dem Ganzen zu tun?
Grössere Lautstärkeunterschiede zwischen Musikstücken zwingen den Hörer den Unterschied mit dem Volumenregler auszugleichen. Was beim bewussten Hören ab CD/LP oder Music Server kaum ein Problem ist, kann beim Hintergrundhören ab Radio oder Streaming Playlist ein Ärgernis sein. In den letzten Jahrzehnten wurde bei Pop-Produktionen die Lautheit kontinuierlich erhöht. Eine Playliste, gemischt mit Songs aus den letzten 30 Jahren, erzwingt immer wieder den Griff zum Lautstärkeregler. Mit Hilfe der Lautstärkenormalisation lässt sich das lästige lauter und leiser Stellen automatisieren.
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Bild 3: Immer lauter und lauter. Der Musik wird die Spannung zwischen laut und leise genommen, sie verliert ein starkes Gestaltungselement. Grafik Quelle „Loudness Alliance“.
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Die European Broadcasting Union (EBU) definiert den Pegel von -23LUFS (23dB unterhalb der Vollaussteuerung) als Normlautstärke. Die durchschnittliche Lautheit eines Musikstückes wird mit einem komplexen Messverfahren ermittelt und mit dem Richtwert von -23LUFS verglichen. Die Abweichung davon wird als +/- Differenzwert erfasst. Die Wiedergabesoftware im Radiostudio oder Streaming Dienst kann so das Nachregeln der Lautstärke anhand dieser Werte automatisch ausführen. Wie laut oder leise generell gehört wird bestimmt aber immer noch der Hörer, nur die deutlichen Lautstärkeunterschiede zwischen den Stücken verschwinden. Der Lautstärkeunterschied innerhalb des Musikstückes, also die Dynamik, bleibt jedoch unangetastet. Apple Sound Check, Spotfy, Tidal, YouTube arbeiten alle mit Lautstärkenormalisation.
An sich eine feine Sache, besonders wenn sich die Automatik bei Bedarf ein- und ausschalten lässt. Auch der „Loudness War“ wird damit ausgetrickst, da laute Stücke einfach leiser geregelt werden. Ein dynamikkomprimiertes, auf Normlautstärke runter geregeltes Musikstück (tiefer DR/PLR Wert) klingt im Vergleich zu einem dynamischen Song deutlich schlechter. Nur ganz so einfach und schön, wie sich das im ersten Moment anhört, ist die Sache nicht. Der Haken liegt wie meist bei den verflixten Details.
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Betrachten wir diese Details
Hier die Übersicht, wie Spotify und Co. Die Lautstärkenormalisation umsetzen:
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Bild 4: Grösser auf Bild klicken, als PDF runterladen. Die Grafik wurde uns freundlicherweise von Ian Shepherd, productionadvise.co.uk zur Verfügung gestellt. Je kleiner der LUFS Wert für den Normpegel ist, desto lauter wird gespielt, im Vergleich zu den anderen Plattformen. Spotify ist rund 5dB lauter als die AES Richtlinie und Apple Sound Check.
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Was fällt beim Betrachten der obigen Grafik auf?
a) Keine Plattform setzt die Normlautstärke auf den von der EBU festgelegten Wert von -23LUFS fest. Dem Wert am nächsten kommt Apple Sound Check mit -16 LUFS und folgt damit der Empfehlung der AES (Audio Engineering Society). Am lautesten spielt Spotify mit -11LUFS. Dynamischem Material wird bei Spotify die Spitzen gekappt, die Dynamik gestaucht. Limiter (Begrenzer) verhindern, dass Pegelspitzen über Digital-Null hinausgehen können, da sonst Verzerrungen entstehen würden.
b) Tidal liegt mit -14 LUFS an zweiter Stelle. Ein Grossteil des Programmmaterials kommt mit dieser Aussteuerungsreserve zurecht. Bei klassischer Musik ist dies allerdings nicht immer ausreichend. Das Klassikangebot bei Tidal ist allerdings mehr als schwach. Somit ist diese Plattform – mit dem aktuellen Programmangebot – für ernsthafte Klassikfreunde weniger ein Thema. Allerdings erfolgt bei Tidal bei Songs mit tiefem Lautstärkewert keine Lautstärkeanhebung. Dies mag dann wieder einen Griff zum Volumenregler provozieren, aber zumindest bleibt die Dynamik des Stückes intakt und die Pegelsprünge in vertretbarem Rahmen.
c) Man hat den Eindruck, als ob sich zwischen den Plattformen ein Loudness War im Kleinformat abspielt. Scheinbar herrscht die Ansicht: Ein bisschen lauter als die Konkurrenz kann ja nicht schaden. Ein wesentlicherer Grund dürfte in der Tatsache liegen, dass Streaming Dienste stark auf mobiles Hören ausgerichtet sind – vor allem Spotify, weniger Tidal. Wird der Normpegel zu tief gelegt, z.B. bei der EBU Richtlinie von -23LUFS, riskiert man, dass die Lautstärke bei einem Smart Phone und Ear-Buds selbst mit voll hochgedrehtem Volumenregler als zu gering eingestuft wird, da diese Geräte aus gesetzlichen Gründen eine begrenzte Maximallautstärke haben (Gehörschutz).
d) Im Weiteren gilt es zu prüfen, ob bei einer Streaming Plattform die Lautstärkekorrektur in der Grundeinstellung ein- oder ausgeschaltet ist.
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Lautstärkenormalisation ist allerdings kein uneingeschränkt positives Mittel und eigentlich in erster Line eine Symptombekämpfung. Langfristig ist die Abkehr vom Lautstärke Wahn der richtige Weg. Und hier können die Streaming Plattformen einiges in Bewegung bringen: einfach laut Mastern bringt nichts mehr. Im Gegenteil: normalisiert treten die klanglichen Schwächen dieser Songs offen zu Tage.
Innerhalb eines Albums gibt es dynamischere und ruhigere Lieder. Bei Klassik unterscheiden sich die vier Sätze einer Symphonie unter anderem auch durch deren Lautheit. Hört man ein Album als Ganzes, regelt die Normalisierung diese gewünschten Unterschiede aber weitgehend aus.
Wie stark die Lautstärkenormalisierung für die klanglichen Unterschiede zwischen Streaming und Wiedergabe ab CD oder Music Server verantwortlich ist, bleibt offen. Klangvergleiche sind auf jeden Fall nur dann aussagekräftig, wenn die beiden Vergleichsstücke mit identischer Lautstärke gespielt werden.
Aus audiophiler Sicht sind Streaming Dienste mit einer gewissen Skepsis zu betrachten. Wer auf kompromisslose Klangqualität aus ist, wird diese Dienste eher als Ergänzung denn als Ersatz zu seiner sorgsam im Server oder auf CD/LP angelegten Sammlung betrachten.
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Anhang – Beispiele für Dynamikkompression:
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Bild 5: Misslungene Remaster sind ideal um die Fehlentwicklung zu veranschaulichen. Das Album Gracleand ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie die Auffassung was gut ist sich in 25 Jahren verändert hat.
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A = Referenzpunkt. Die beiden Kurven zeigen einen Ausschnitt des linken Kanals. Die untere Kurve des 1986er Originals wurde so positioniert, dass sie mit dem Remaster von 2011 synchron ist.
B = Dieser Bereich zeigt wie die Pegelanhebung zur Limitierung führt. Aus der ansteigenden Flanke unten wird eine Horizontale mit einseitig verzerrter Wellenform (lineare Verzerrung). Auch der Bereich vor dem Abschnitt C zeigt eine Signallimitierung.
C = Abschnitt C zeigt eine Signalsequenz die im Vergleich zum Original eine deutlich verstärkte Wellenform hat. Da unmittelbar vor dem Abschnitt C das Signal limitiert ist, stimmt die „innere Balance“ in diesem Bereich nicht mehr.
Eine leichte, behutsam eingesetzte Dynamikkompression kann sich klanglich durchaus positiv auswirken. Details können so klarer wahrgenommen werden. Es ist aber wie bei Speisen, zu viel an Würze verdirbt das Essen.
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Bild 6: Coldplay, Everglow
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Bild 7: Adele 25, Hello. Gerade bei Adele ist es jammerschade wie die Dynamikkompression diese eindrücklichen Songs kaputt macht. Man muss zur LP greifen, um diese Lieder geniessen zu können. Das mechanische Speichermedium Vinyl lässt die extreme Kompression der CD technisch beding nicht zu.
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Nachtrag vom 16.6.2017
Offensichtlich hat Spotify den Bezugspegel für die Lautstärkenormalisation von -11LUFS auf -14 LUFS geändert. Ein Schritt in die richtige Richtung und eine Annäherung an Tidal.
Quelle: Skonrokk Studios