Dynamic Range Day:

Ein Tag gegen miserable Klangqualität

Erstellt von:
24 Mai 2017
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Am Record Store Day wird die Vinyl Schallplatte und ihre besondere Klangaura gefeiert, aber auch die Sammlung mit echten oder vermeintlich guten Aufnahmen ergänzt. Der bis anhin kaum bekannte Dynamik Range Day kämpft gegen das Kernproblem moderner Pop-Musikproduktion: massive Dynamikkompression – Synonym für schlechte Klangqualität. Die Laut-Leise-Unterschiede in der Musik werden bis zur Unkenntlichkeit reduziert. Klangliche Feinzeichnung und Klangtimbre gehen so den Bach hinunter. An dem vom Mastering Ingenieur Ian Shepherd lancierten Dynamik Range Day werden gute Aufnahmen mit dem Dynamic Range Award ausgezeichnet. Die prämierten Alben zeichnen sich durch möglichst unverfälschten Dynamikumfang aus und bieten so ein weniger aggressives, entspannteres, authentischeres Klangvergnügen.

 

Dynamic Range Award

Der Dynamic Range Award prämiert seit 2010 gut klingende, dynamische Aufnahmen, die beweisen, dass auch Musik erfolgreich ist, die nicht durch exzessives Mastering verunstaltet wurde. Um für den Award nominiert zu werden muss ein Album folgende Kriterien erfüllen:

– Die integrierte (mittlere) Lautstärke darf den Wert von -11LUFS nicht überschreiten (darf nicht im Bereich von -10 bis 0 LUFS sein), gemessen mit dem R128 Meter oder einem vergleichbaren, referenzierten Messmittel. Dieser Messwert beschreibt die Lautheit des Musikstücks bezogen auf Vollaussteuerung und über das ganze Musikstück gemessen.

– das komplette Album darf DR8 nicht unterschreiten, gemessen mit dem TT Meter oder einem vergleichbaren, referenzierten Messmittel. Dieser Messwert beschreibt den Dynamikumfang des Musikstücks.

Anmerkung: Grafische Darstellungen zum besseren Verständnis dieser technischen Anforderungen finden Sie weiter unten beim Avengers Sevenfold Album.

Beim Dynamic Range Day geht es um reale Musik, nicht um Zahlen. Zu verlangen, dass eine Aufnahme einen grossen Dynamikumfang von mindestens DR16 und mehr haben muss, ist weltfremd. Zudem variiert der Bereich von gut und schlecht je nach Musik Genre. Der Anspruch ist gute Mainstream Releases ins Rampenlicht zu stellen, die einen überzeugenden Dynamikumfang haben. Ein Album mit DR 10 kann besser klingen als eines das nur die Mindestanforderung von DR8 erfüllt. Aber es ist möglich, dass auch das Album mit DR8, abhängig vom Musikgenre, klanglich begeistern kann. In die Bewertung fliesst somit auch dieser Aspekt ein.

 

Auch mit Heavy Metal geht’s

Für die Mehrheit dürfte es eine Überraschung sein, dass ausgerechnet das Album einer Metal Band den Dynamic Range Award 2017 gewinnt. Gilt doch das Heavy Metal Genre als Inbegriff von lautem und dichtem Klang. Dies nicht ohne Grund, führt doch das Metallica Album „Death Magnetic“ mit einem Wert von DR3 den negativ Rekord in Punkto Dynamikkompression an.

Bild 1: In den letzten Jahrzehnten wurde die Musik immer lauter, die Dynamik zusehends zusammengedrückt. Den traurigen und berühmten Negativrekord trägt Metallicas  Album „Death Magnetic“. Ein treffenderer Titel wäre Death Dynamic!

Ist der Mastering Ingenieur nun der ausführende Bösewicht, der mit seinen Gerätschaften und Software Tools den Klang, die Dynamik des Album bestimmt? Hat nur der Produzent das Sagen oder wie strak können die Musiker das Endresultat, den endgültigen Klangcharakter eines Albums bestimmen? Hier öffnet sich ein eigenständiges Thema über die Marketing Floskel „So wie es der Künstler im Studio gehört hat“. Doch zurück zum prämierten Album.

dRD Gewinner 2017

Avenged Sevenfold „The Stage“

Der angesehene und bekannte Mastering Ingenieur Bob Ludwig hat in einem mehrstufigen Prozess die Bandmitglieder von Avenged Sevenfold überzeugt, ein Album mit gutem Dynamikumfang zu veröffentlichen. Im Briefing an Bob Ludwig brachte die Band zum Ausdruck, dass sie Wert auf Feinheiten legen und die elaborierten Klangeffekte auf dem Album hörbar sein sollten. Bob Ludwig hat daraufhin mit minimaler Dynamikkompression gearbeitet um die einzelnen Klangaspekte zu festigen und eine optimale Kohärenz im gesamten Klangbild eines Stückes zu erzeugen. Die Bandmitglieder waren aber ab dem Resultat stark verunsichert, da die über alles Lautstärke des Albums nicht mit der der Konkurrenz mithielt. Bob machte eine weitere, deutlich stärker komprimierte Version, die aber am Ende die Band doch nicht überzeugte. Die stärker komprimierte Version war nun in Punkto Lautheit an der Konkurrenz dran, aber auch deutlich ärmer an klanglichen Feinheiten. Die dynamischere, erste Version wurde schlussendlich veröffentlicht.

Avenged Sevenfold, auch unter dem Kürzel A7X bekannt, ist eine US-amerikanische Metal-Band aus Huntington Beach, Kalifornien. Alleine in den USA verkaufte die Band etwa 18 Millionen Ton- und Bildträger und weltweit etwa 27 Millionen. Sie wurden vom Musikmagazin Rolling Stone als die „Neuen Heavy Metal Götter“ bezeichnet (Wikipedia).

Formate: CD, Hi-Res 24/96

Shortlist 2017
Marillion FEAR
Alison Krauss Windy City
The XX I See You

Bild 2: Beachtlich für Heavy Metal – es muss nicht übertrieben laut sein um zu wirken: Avengers Sevenfold, Album „The Sting“, Titel „Roman Sky“. Die Feinheiten, die durch mässige Dynamikkompression hörbar sind, verzücken mehr als zudröhnende Lautstärke. Übrigens ein Thema, dem sich auch die PA-Mixer an Pop-Konzerten annehmen sollten.

Infografik 1: Dynamikvergleich gut oder schlecht. Spektralanalyse, Signalwellenform und Dynamik-Meterzeigen, ob ein Musikstück einen hohen oder geringen Dynamikumfang hat.

Infografik 2: Pegelmessungen. Avengers Sevenfold, Album „The Sting“, Titel „Roman Sky“. Der eher ruhige Titel bleibt deutlich unter dem Wert von -11LUFS, was Raum lässt für die schnelleren und lauteren Titel des Albums. Dynamikumfang LUF = 10.5, DR = 11.

Infografik 3: Loudness History. Nochmals der Titel „Roman Sky“ mit dem Pegel/Lautheitsverlauf über das ganze Musikstück gemessen. Vergleiche Bild 2 – Spektrum Analyse und Wellenform.

dRD Gewinner 2016

James Blake The Colour in Anything

The Colour in Anything Ist das dritte Studioalbum des englischen Singer-Songwriters und Produzenten James Blake. Am Album wirkten auch Justin Vernon und der Sänger Frank Ocean mit. Er beschreibt Blake als enorm inspirativ und Mentor des Projekts.

Weite Hallräume, Klangdichte und Klangauflösung, überraschende Harmonien, Synthesizer, tiefe Bässe und das Klavier als Leitmedium und über allem seine charaktervolle Stimme.

Formate: CD, Hi-Res 24/44.1

Shortlist 2016
Trivium Silence In The Snow
Plastikman EX
The Anchoress Confessions of a Romance Novelist
Kendrick Lamar untitled unmastered
James Blake The Colour Of Anything
Seal 7
Steven Wilson 4+1/2

dRD Gewinner 2015

Steven Wilson Hand. Cannot. Erase.

Das Jahr 2015 brachte die Erkenntnis, dass hervorragender Dynamikumfang – und somit eine tiefere Durchschnittslaustärke – vollständig mit einem kommerziellen Erfolg einher gehen kann. Neben dem Steve Wilson Album finden sich weitere Beispiele dafür – siehe die Shortlist unten.

Steve Wilson war bereits in den Jahren 2012 bis 2014 für den Dynamic Range Award nominiert und es war an der Zeit, ihm diesen zu verleihen. Und diese Ehre gebührt nicht nur seinem eigenen Album. Steve ist ausserordentlich produktiv, auch als Produzent und Toningenieur für andere Künstler. Er hat sich einen hervorragenden Ruf bei Reissues legendärer Pop-Alben gemacht, wie Jethro Tulls „Thick as a Brick“, die alle hervorragend klingen. Sie gehören in die Kategorie der gelungenen Remasters im Sinne einer Restauration. Dies im Gegensatz zu misslungenen Remasters, die lediglich auf laut und massiv komprimierte Dynamik setzen.

Formate: CD, Hi-Res 24/96

Shortlist 2015
Mark Ronson Uptown Special (DR8)
D’Angelo Black Messiah (DR8)
Aphex Twin Computer Controlled Instruments PT2 EP (DR8)
Jack White Lazaretto (DR10)
Opeth Pale Communion (DR11)
Tir Eolas Stories Sung, Truths Told (DR9)
Wilson Hand. Cannot. Erase. (DR11)
The War On Drugs Lost In The Dream (DR8)
Damon Albarn Everyday Robots (DR10)
Paulo Nutini Caustic Love (DR9)

Bild 3: Beeindruckendes Spektrum und Dynamik – Titel „Hand Cannot Erase“. Einen (nicht ganz optimalen) Höreindruck gibt’s auf YouTube: Link

dRD Gewinner 2014

Daft Punk Random Access Memories

Random Access Memories ist eines der erfolgreichsten Alben des Jahres – UND eines mit der meisten Dynamik! Wer einen Beweis für die Berechtigung, Notwendigkeit eines Dynamic Range Days braucht, der kann sich an dieses Album halten.

Während Daft Punk früher einen Sound machten, der in seiner vollkommenen Künstlichkeit handgefertigt wirkte, liefern sie nun mit echten Musikern an echten Instrumenten echtes Handwerk, das seine Wucht erst aus der Elektronik im Hintergrund bezieht.

Daft Punk ist eine im Jahr 1993 gegründete französische Formation der French-House-Musik und besteht aus Guy-Manuel de Homem-Christo und Thomas Bangalter.

Formate: CD, Hi-Res 24/88.2

Bild 4: DR9 ist für Electro-Pop ein guter Wert.

dRD Gewinner 2013

Jack White Blunderbuss

2013 erreichte Jack Whites Debut-Album. „Blunderbuss“ den ersten Platz in der Billborad 200 Bestenliste der erfolgreichsten Alben. „Blunderbuss“ hat einen DR Wert von 11, gemessen mit dem TT Dynamic Range Meter. Nach heutigem Standard gilt dieser Wert als ausserordentlich dynamisch. Auch drei Wochen später rangierte das Album immer noch auf dem 8. Platz in den Charts. Das Album beweist, Musik muss nicht laut und dynamikarm sein um erfolgreich zu sein. Man vergleiche Klang der Alben “Weep Themselves To Sleep” (DR10) mit “Bone Broke” (DR6) von “Icky Thump”. Welches Album klingt besser, bietet ein stressfreieres Hören?

Format: CD

Anmerkung: Bei den verfügbaren Formaten werden die möglicherweise erhältlichen Vinyl Ausgaben nicht erwähnt. Die Schallplatten DR Werte sind im Vergleich zu stark komprimierten digitalen Pendants deutlich höher. Die technischen Eckwerte (Dynamikumfang / Rillenmodulation) der Schallplatte lassen extreme Dynamikkompression nicht zu. Die Vinyl Variante klingt in solchen Fällen markant besser.

Wenn das nächste Mal jemand behauptet, dass Musik lauter sein muss, um erfolgreich zu sein, weisen Sie ihn auf den Dynamic Range Day und diesen Blog Artikel hin. Dynamikkompression hat fatale Folgen für die Klangqualität und ist schlichtweg unsinnig, denn:

  • Untersuchungen zeigen, es gibt keinen Zusammenhang zwischen „Lautheit“ und „Verkaufserfolg“ (Link)
  • Die Hörer nehmen “lauter” nicht als positiven Eindruck wahr, sie drehen die Musik einfach leiser.
  • Dynamische Musik kling auch am Radio besser (Link)
  • Moderne Wiedergabemethoden – Lautstärkenormalisation – tricksen den Lautstärkekrieg aus. Lautes Mastern wird irrelevant. (Link zum Blog)

Fazit

Wenn heute heftig über Audioformate, wie FLAC, WAV, DSD oder MQA, HD-Samplingraten aber auch Analog contra Digital diskutiert oder gar gestritten wird, dann fällt leicht ausser Acht, dass in der kommerziellen Pop Musik schon im Mastering Prozess enorm viel Qualität den Bach runter geht, womit am Ende das Speicherformat zur Nebensache wird.

Der Dynamic Range Day soll Toningenieuren, Produzenten aber auch Musikern das Bewusstsein für dynamikreiche, feingliedrige und natürliche Musik zurückbringen. UND nicht zuletzt auch den Hörern und Musikliebhabern, die nicht selten viel Geld für Top-Wiedergabeketten ausgeben um dann am Ende darauf „kaputte“ Aufnahme zu hören.

Anhang

Hintergrundinformationen und Vergleiche zwischen Pop und Klassik, hohem und geringen Dynamikumfang.

Bild 5: Der “natürliche” oder unkomprimierte Dynamikumfang eines Musikstückes hängt stark vom jeweiligen Genre ab.

Bild 6: Die drei akustischen Instrumente dieses Beethoven Klaviertrios zeigen, dass auch kleine Formationen sich sehr dynamisch darstellen können. Beethoven Klaviertrio Op. 1 Nr. 2, 1. Satz Adagio – Allegro vivace.

Bild 7: Bruckner und Mahler Symphonien sind für grosses Orchester geschrieben. Extreme Wechsel zwischen laut (volles Orchester) und leise (wenige Instrumente, die zudem piano spielen) erzeugen einen enormen Spannungsbogen. Anton Bruckner 4. Symphonie, 3. Satz Scherzo.

Bild 8: Früher war alles besser. Nicht immer, aber was Dynamikumfang in der Pop Musik betrifft, stimmt die Aussage. Nicht umsonst hört man Dire Straits noch heute in zahlreichen Vorführungen und sind Aufnahmen aus früheren Jahrzehnten sehr beliebt. Dire Straits, Brother in Arms, Ride Across the River.

Bild 9: Schade – die Songs von Adele sind gut, aber die miese Dynamik lässt das Klangbild zum „Schreikonzert“ verkommen. Hier helfen nur zwei Dinge a) kurzfristig: der Griff zur Adele 25 Schallplatte und b) langfristig: die Hoffnung, dass die Produzenten ein Einsehen haben und mit dieser unsinnigen Sitte die Dynamik einzudampfen aufhören. Adele 25, Sweetest Devotion.

Vergleichen Sie die spektrale Energieverteilung zwischen der Dire Straits und der Adele Aufnahme (Bilder 8 und 9):

Bild 10: Linke Seite –  natürliche spektrale Energieverteilung, wie wir sie auch bei den Klassik Aufnahmen (Bilder 6 und 7) gesehen haben. Die spektrale Verteilung in der rechten Bildhälfte zeigt die hohe Energiedichte, die beim Hören enorm ermüdet. Kommen dazu noch Intersample Clippings (Verzerrungen) dann bleibt nur eine Wahl > abschalten, Disc wechseln. Die innere Struktur der Adele Aufnahme stimmt weder vom Spektrum noch von der Dynamik. Hier wird das zerstörerische Werk der Dynamikkompression sichtbar.