Lautsprecher Setup & Phantomquellen:
Wer die Regeln beachtet hat mehr Musikgenuss.
Dass räumliche Musikwiedergabe über zwei Lautsprecher funktioniert, ist verblüffend. Denn theoretisch sollte es eigentlich nicht gelingen, denn die an den Ohren eintreffenden Schallwellen aus dem linken und rechten Lautsprecher sind nicht identisch mit den von realen Instrumenten oder Stimmen punktförmig abgestrahlten Schallwellen. Warum es trotzdem klappt hat mit der menschlichen Hirnleistung und einer Menge technischer Faktoren zu tun. Die technischen Elemente liegen mehrheitlich ausserhalb des Beeinflussungsbereichs des Musikliebhabers. Der Musikfreund hat jedoch die Wahl des Lautsprechers und – ganz wichtig – hat deren richtige Aufstellung im Hörraum in der Hand. Dies hat einen weit grösseren Einfluss auf das Klangerlebnis und die Klangabbildung als oft angenommen wird. Die Boxen mal schnell im gleichseitigen Dreieck zum Hörplatz hingestellt, das passt dann schon und klingt schon mal nicht schlecht. Weit gefehlt. Selbst Fachleute tappen gelegentlich in diese Falle, mit der Folge, dass das Audiosystem zwar recht passabel klingt, aber auf einem tieferen Niveau als möglich wäre. Diese Aussage gilt für jede Lautsprecherklasse, ist aber in der Top Liga umso kritischer, wie zum Beispiel bei den Bowers & Wilkins Serien 700 und 800. Systeme in dieser Kategorie haben ein hohes Auflösungsvermögen und Klangtreue und können daher bei genauer Positionierung und Ausrichtung eine umso faszinierendere Klangwelt liefern. Nachfolgend die Theorie zum Verständnis und Hinweise für die Praxis.
Die notwendigen Elemente für eine korrekte räumliche Darstellung mit Phantomquellen über zwei Lautsprecher
„Stereofonie beruht im Prinzip auf den Gesetzmässigkeiten der Lokalisierung in den sich überlagernden Schallfelder zweier Lautsprecher. Die Richtungsdarstellung erfolgt in der Abbildungsebene zwischen zwei Lautsprechern. Die Wahrnehmung des natürlichen Raumeindruckes und der räumlichen Tiefe ist mit der einfachen Zweikanalstereofonie, der sog. 2/0 Stereofonie, nicht erreichbar, sondern nur eine perspektivische Darstellung, ähnlich der perspektivischen Darstellung in einem flächigen Bild“ [Günther Theile 1980, 1991].
Bild1: Die originale Schallquelle im rechten Bildteil erzeugt eine Wellenfront. Die Schallwellen treffen im abgebildeten Beispiel am rechten Ohr früher ein als am Linken. Auf Grund dieser Zeitdifferenz erkennt unser Gehirn die Richtung aus dem der Schall eintrifft. Lautsprecher stahlen aber zwei Wellenfronten aus zwei unterschiedlichen Richtungen ab [Messdiagramme unten: Theile 1980].
Bild 2: Assoziationsmodell nach Theile 1980. Die an den beiden Ohren ankommenden Schallinformationen weichen leicht voneinander ab. Unser Gehirn verarbeitet sie zu einer einzigen Wahrnehmung (wie bei der optischen Wahrnehmung). Dies trifft sogar für die deutlich unterschiedlichen Lautsprechersignale zu, sofern eine genügend grosse Korrelation zwischen den beiden Schallinformationen besteht.
Bild 3: Bei der Stereophonie werden die Phantomschallquellen zwischen den beiden Lautsprechern dargestellt. Eine vollständige Wahrnehmung aus einem Lautsprecher entspricht einer 100% Auslenkung der Phantomquelle.
Massgebende Faktoren:
- Wandabstand
- Basisbreite
- Genaue Positionierung auf der Seitenachse
- Eindrehwinkel zum Hörplatz
- Hörplatzposition (optimale Hörzone / Sweet Spot)
Ohne gute Musikeinspielung keine Zielerreichung
Bild 4: Mikrofon und Lautsprecher sind die beiden kritischsten Elemente der Übertragungskette. Die Aufnahme- und Wiedergabequalität hängt massgeblich von deren (qualitativ) richtigen Wahl und Positionierung im Raum ab.
Primär bestimmen die Hauptmikrofone den Aufnahmewinkel und somit wo auf der Lautsprecherachse die Phantomquellen wahrgenommen werden. Je grösser der Öffnungswinkel der Mikrofone desto kleiner ist der Aufnahmewinkel. Instrumente ausserhalb des Aufnahmewinkels werden aus dem linken, respektive rechten Lautsprecher wahrgenommen. Etwas verwirrend, aber leichter zu fassen, wenn man den Begriff Aufnahmewinkel mit Wiedergabepositionierung ersetzt und als Ausdehnung des Klangkörpers (Phantomquellen) bei Wiedergabe im Vergleich zur (realen) Ausdehnung im Aufnahmeraum versteht. Schauen wir uns das anhand einer Bildfolge für drei grundlegende Mikrofonanordnungen mal an (XY- und AB-Stereophonie und Decca-Tree):
Bild 5: Die XY-Stereophonie mit Nierenmikrofonen erzeugt den stereophonen Eindruck durch Pegeldifferenzen in den beiden Kanälen (Intensitätsstereophonie). Ein 90° Versatz der Mikrofone (-45°/+45°) erzeugt einen grossen Aufnahmewinkel. Der dunkelgraue Bereich markiert den 75% Auslenkungsbereich auf der Lautsprecherachse. Zusammen mit dem hellgrauen Segment ergibt sich eine 100% Auslenkung, also eine Wahrnehmung direkt aus einem Lautsprecher. (Bilder 5 bis 7 generiert mit Hilfe der App „Image Assistant“ > hauptmikrofon.de)
Bild 6: Die AB-Stereophonie mit Kugelmikrofonen, die den Schall aus allen Richtungen gleich aufnehmen, erzeugt eine zeitliche Differenz in den beiden Kanälen (Laufzeitstereophonie). Die obige Anordnung und Mikrofonwahl ergibt einen sehr engen Aufnahmewinkel.
Bild 7: Der aus drei Mikrofonen gebildete Decca Tree gilt nicht als Variante des Gross-AB-Verfahrens und besticht durch einen ausgeprägten Raumklang, ideal für grosse Orchesteraufnahmen. Der Decca Tree stammt aus der Experimentierphase der frühen 50er Jahre und ist heute beliebt bei Surround Aufnahmen.
Bild 8: Instrumente ausserhalb des Aufnahmewinkels werden dennoch aufgezeichnet. Der Begriff Aufnahmewinkle kann leicht zu Fehlinterpretationen führen, wird aber verständlich beim Betrachten von Bild 9 unten.
Bild 9: Die im Bild 8 gezeigte Aufnahmesituation mit zu kleinem Aufnahmewinkel hat zur Folge, dass die Klangquellen ausserhalb des Aufnahmewinkels bei Wiedergabe über Lautsprecher allesamt in die Lautsprecherposition hineingeschoben werden.
Welche Abbildungsfehler entstehen bei ungenauer Lautsprecherplatzierung?
Für den Test stehen drei Alben aus verschiedenen Genres als „Einstellhilfe“ zur Verfügung. Allesamt gute Aufnahmen, die sich technisch zwischen Raumaufnahme und Nahfeld/ Einzelmikrofonierung bewegen.
Zunächst wurden die Bowers & Wilkins 702 S2 Lautsprecher (Infos zur 702 S2) präzis im Raum positioniert. Die 702 S2 mit Tweeter on the Top Konzept kann eine offene, vom Lautsprecher gelöste Klangbühne produzieren, mit guter Fokussierung und Tiefenstaffelung.
Bild 10: Lautsprecher Geometrie – hier die Werte:
- Wandabstand: Frontseite 75 cm von der Rückwand entfernt
- Basisbreite: 285 cm
- Genaue Positionierung auf der Seitenachse: ± 0 cm Differenz zwischen den Lautsprechern
- Eindrehwinkel zum Hörplatz: 25 bis 30 °
- Hörplatzposition: optimale Hörzone / Sweet Spot
Bild 11: Ausganslage – korrekte Aufstellung der Bowers & Wilkins 702 S2 gemäss obigen Werten ergibt eine fein gestaffelte, in die Tiefe reichende Klangbühne (Agrell).
a) 8 cm von der als Nulllinie definierten Seitenachse nach hinten (Wandabstand = 67 cm)
b) 8 cm von der Nulllinie nach vorne (Wandabstand = 83 cm)
c) Eindrehwinkel = 0 ° (beide LS rechtwinklig zur Wand)
d) Eindrehwinkel = 60 ° (Kreuzpunkt der LS-Achsen vor der optimalen Hörzone)
Bild 12: Fehlplatzierung – linker Lautsprecher zu weit hinten.
• Agrell: Das Orchester ist kaum mehr fokussiert. Das Ganze wirkt räumlicher, aber die Ortbarkeit ist massiv schlechter, die Orchesterstimmen fliessen ineinander.
• Bibb: Die Harmonika wandert in die Mitte, die Stimme wirkt sogar fokussierter, da sie deutlicher aus der Mitte wahrgenommen wird. Es stellen sich bei einzelnen Noten Phaseneffekte ein, die als störend, unnatürlich empfunden werden.
• Cobb: Trompete ist gut fokussiert, aber mit weniger Raum, weniger Luftigkeit und leicht zur Mitte hin verschoben. Bei der Sologitarre kommen einzelne Töne direkt aus der Box, andere leicht abgesetzt. Auch hier machen sich zeitweise Phasenprobleme bemerkbar.
Bild 13: Fehlplatzierung – linker Lautsprecher zu weit vorne.
• Agrell: Der Klangkörper wandert zur nach hinten verschobenen Box hin (Zeitversatz von ca. 0.2 ms). Die vorher mittig platzierte Solovioline wird defokussiert und breiter abgebildet.
• Bibb: Die Harmonika wandert nach links zum versetzen Lautsprecher hin, die Stimme wirkt weniger fokussiert, aber mehr aus der Raumtiefe heraus.
• Cobb: Trompete ist defokussiert, die Gitarre wird links vom (linken, verschobenen) Lautsprecher wahrgenommen, nicht mehr stärker in der Box wie beim auf 68 cm reduzierten Wandabstand.
Bild 14: Eindrehwinkel zu klein, respektive = 0 °
• Agrell: Der Raum zerfällt, verliert deutlich an Tiefe, der Orchesterkörper wirkt zerstückelt, weniger homogen.
• Bibb und Cobb: Keinerlei Raumeindruck mehr vorhanden, besonders ausgeprägt bei Bibb, das Ganze erinnert an die frühe Ping-Pong-Stereophonie, bei der die Instrumente/Stimmen ohne Raum aus direkt der Mitte oder einem der Lautsprecher gehört wird.
• Agrell: Der Raum zerfällt, verliert deutlich an Tiefe, der Orchesterkörper wirkt zerstückelt, weniger homogen.
• Bibb und Cobb: Keinerlei Raumeindruck mehr vorhanden, besonders ausgeprägt bei Bibb, das Ganze erinnert an die frühe Ping-Pong-Stereophonie, bei der die Instrumente/Stimmen ohne Raum aus direkt der Mitte oder einem der Lautsprecher gehört wird.
Bild 15: Eindrehwinkel zu gross
• Agrell, Bibb, Cobb: Die starke Überkreuz Eindrehung wurde und wird auch heute noch von einigen Lautsprecherherstellern empfohlen. Diese Anordnung erzeugt ein sehr luftiges, leicht aufgeblasenes Klangbild mit teilweiser Darstellung des Klangkörpers ausserhalb der Seitenachse. Die Mitte ist ordentlich fokussiert, das Klangbild aber nicht homogen, die Instrumente werden in der Grösse überzeichnet, aufgeblasen dargestellt.
Die punktgenaue Installation der Lautsprecher im Raum ist Voraussetzung damit die perspektivische Stereophonie korrekt funktioniert. Mit richtig auf der Seitenachse positionierten Phantomschallquellen und homogener, nicht verzogener oder gestauchter Raumabbildung. Die obigen, auf das Bowers & Wilkins Modell 702 S2 bezogenen Aussagen lassen sich nicht zu 100% auf andere Lautsprecher (Marken) übertragen, sind aber tendenziell allgemeingültige Feststellungen. Auf die Varianz von Basisbreite und Wandabstand wurde im Artikel nicht eingegangen, da diese stark vom Raum und dessen Möblierung abhängen.
Schlussbemerkung: Die perspektivische 2.0 Stereophonie lässt sich durch Hinzufügen weiterer Übertragungskanäle problemlos zu einer dreidimensionalen Wiedergabe erweitern. 5 Kanäle sind das Basislayout. Dass mehr als 2 Kanäle von Nöten sind, wusste man schon in den 30er Jahren. Erste Quadro-Sound-Lancierungen gab es in den 70er Jahren und seit 2000 mit Einführung der SACD ist Musik-Raumklang Realität, aber geht an den meisten Musikliebhabern vorbei – warum eigentlich? Man lässt ein Musikerlebnis mit einer neuen Dimension links liegen.